Mittwoch, 16. Mai
Wieder ein Tag, der mit Kopfschmerzen beginnt; die rechte Schulter ist in üblem Zustand und so reihe ich mich ein in die Opferliste der diktatorischen Bewegungskompetenz. Dass es auch anders gehen kann, zeigt uns mittags der blasse, schlaksige Therapeut mit dem klerikalen Tenor. Sanft leitet er uns durch einige Feldenkrais-Übungen und wagt sogar Schäkereien mit unseren Damen. Sieh an! Eine Hydrojet-Behandlung später bekomme ich vor Müdigkeit kaum noch die Augen auf, zumal ich zwischenzeitlich mein Schmerzmittel genommen habe. Ich beschließe, dass frische Luft hilft und setze mich auf den Bootssteg an der Saline – mein derzeitiger Lieblingsplatz. Um mich ist nichts als Stille und der Geruch frisch gemähten Rasens. Da platscht es plötzlich laut zu meinen Füßen und ich sehe gerade eben noch etwas recht Großes, Grau-Braunes in den Fluten verschwinden. Der Schatten nähert sich und dann taucht vor mir ein entzückender Fischotter aus dem Wasser auf. Mit seinen kleinen Schwimmflossen-Füßchen paddelt er auf der Stelle. Ein paar Sekunden schauen wir uns intensiv an. Neugierig zittern seine Barthaare, dann ist er mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung verschwunden. Ich verharre bewegungslos und kann es kaum fassen. Was für eine wunderbar-seltsame Begegnung!
Aber der Seltsamkeiten ist noch kein Ende, denn der Hauspsychologe, den ich heute zum letzten Mal konsultieren darf, ist überraschend handzahm. Eigentlich sollten heute die Ergebnisse der zweiten Fragebogentestung besprochen werden, diese findet jedoch erst übermorgen statt. Das ging vom Therapieplan leider nicht anders. So gibt es für diesen Abschlusstermin im Grunde inhaltlich nichts zu besprechen. Er geht mit mir noch einmal seine Aktennotizen durch. Und da wir mehr Zeit haben als Akten gefüllt werden können mangels der vorliegenden Bögen, darf ich tatsächlich meine Meinung äußern und seine Stichpunkte ergänzen und korrigieren. Irgendwann stellt er fest, dass ich eigentlich gar nicht depressiv wirke, was er so gar nicht versteht, da ich doch eine Schmerzerkrankung habe, das passe nicht zusammen. Ich erkläre ihm geduldig, dass ich auf die Schmerzen an sich keinen Einfluss habe, aber jeden Tag von Neuem entscheiden kann, ob ich mich jammernd zurückziehe oder den Tag fröhlich begrüße und dankbar innehalte, um beispielsweise den Geruch frisch gemähten Rasens einzuatmen. An dieser mentalen Überforderung hat er schwer zu knabbern und so hat er es eilig, mich loszuwerden.
Gut so, denn so schaffe ich es noch zur Progressiven Muskelentspannung bei der niederländischen Dame mit dem schrägen Humor und der maskulinen Stimme. Dass sie darüber hinaus noch mit einem kleinen Sprachfehler zu kämpfen hat, macht sie noch menschlicher: ihre S-Laute nähern sich oft eher einem Sch-Laut an. Und so führt sie uns auch heute wieder durch das Programm in einen „gantsch gelöschten Tschustand“. Besonders das Wort „Muschkeln“ benutzt sie gerne und häufig. Zunächst muss ich grinsen – und ich ahne, dass ich damit im Raum nicht alleine bin. Die dritten „Muschkeln“ bringen mich zum unterdrückten Kichern, bei den vierten „gelöschten Muschkeln“ laufen mir schon vor unterdrücktem Lachen die Tränen herunter und dann entfährt mir ein durch die Nase gefiltertes Prust-Schnauben. Die Dame neben mir beginnt zu lachen, die nächste kichert haltlos und innerhalb von Sekunden brüllen wir alle schier vor Lachen. Die Dame macht die Musik aus, tut „entschetschlich“ betroffen, lacht dann aber herzlich mit. Warum, das wagen wir nicht, ihr zu sagen. Wir bitten sie, das Wort „Muskeln“ einfach nicht mehr zu gebrauchen. Den Rest der Entspannungszeit heißt es dann konsequent „dasch Wort, dasch ich nicht schagen scholl“. O je! Muskulär entspannt ist hinterher niemand von uns – und doch geht es uns gut wie selten.
Erkenntnis des Tages: Lachen hilft. Wetten, dasch?