8.5.2014, Donnerstag

Veröffentlicht auf von Marie

Ich wache nachts auf mit Kopfschmerzen. Die typischen Schmerzen, die immer dann auftauchen, wenn sich in der oberen Halswirbelsäule etwas verschoben hat. In Heidelberg habe ich etliche Menschen, die ich bei Bedarf anrufen kann und meistens sehr schnell einen Termin für mich freimachen können. Alles in mir schreit nach einer manuellen oder ähnlichen Therapie. Nicht zum ersten Mal vermisse ich Sarah, meine Heidelberger Physiotherapeutin, die in 30 Minuten mir mehr Linderung verschafft als sämtliche Vorträge, die ich hier gehört habe. Tragischerweise sind ja sämtliche Anwendungen, die ich dringend brauchen könnte, hier im Haus – aber für MBOR nicht vorgesehen. Zum x-ten Mal überfällt mich der Gedanke, dass ich zuhause wesentlich besser medizinisch versorgt werde als hier.

Eine positive Überraschung erwartet mich am Frühstückstisch: ein Becher laktosefreier Joghurt. Dann geht es zum „Vortrag zur aktiven Freizeitgestaltung“. Schön, wie hier mit innerer Begeisterung die Wanderrouten und Sehenswürdigkeiten der Umgebung vorgestellt werden. Für mich mit meiner Gehbehinderung ist das jedoch ein Schlag ins Gesicht. Beim Verlassen des Raumes kämpfe ich mit den Tränen.

Weiter geht es mit „Einführung in das Sozialrecht“. Es wird erklärt, wer sich von Zuzahlungen befreien lassen kann, was der Unterschied ist von Kranken- und Übergangsgeld, wo Hilfe beim Ausfüllen der Formulare zu bekommen ist und welche Nachsorgemöglichkeiten es gibt. Und hier wird es interessant, weil in der Nachsorge (IRENA oder Rehasport) genau die Dinge angeboten werden, die ich mir eigentlich hier erhofft hatte. Aber das gibt es erst dann, wenn man wieder zuhause ist. Was mir jetzt nichts nützt, denn schon wieder tut mein Rücken weh. Oben habe ich einen wunderbaren Fitnessraum entdeckt, der aber erst nach einer persönlichen Geräteeinweisung benutzt werden darf. Das ist für mich wohl nicht vorgesehen. Zumindest nicht diese Woche.

Beim Mittagstisch erwartet mich schon ein speziell für mich abgepackter kleiner Salatteller mit Gurken, Radieschen, etwas grünem Salat und Oliven ohne jegliche Sauce! Ich genieße diese Vorspeise und esse, während ich auf den nachfolgenden Gang warte, schon mal meinen Nachtisch, ein kleines Schälchen laktosefreien Fruchtquark. Leider war´s das schon mit dem Essen, weil der Salat mein komplettes Mittagessen darstellte. Eigentlich bin ich ja nicht gerade übergewichtig. Wieso mir diese Diät auferlegt wird, weiß ich nicht. Als ich einer Dame am Tisch mein Leid klage über die mangelnde orthopädische Behandlung, rät sie mir, mich doch einfach beim Arzt zu beschweren. Gesagt, getan! Ich melde der Stationsschwester, dass ich SEHR unglücklich sei, weil so wenig passiert, mein Bein aber Aktivität braucht und ich zuhause (Sarah!!!) definitiv mehr Möglichkeiten habe als hier. Sie verspricht, es weiterzugeben. Und – oh Wunder! - kaum bin ich auf meinem Zimmer, klingelt schon das Telefon, und mir wird mitgeteilt, dass ich jetzt sofort zum Gerätetraining könne.

Unter dem Dach erwartet mich eine kleine, aber sehr saubere Mucki-Bude. Als erstes werde ich über die Hygiene-Regeln informiert. Sehr löblich. Der Sportpädagoge ist sehr gemütlich und entspannt. Ob da jetzt einer mehr oder weniger ist, stört ihn wenig. Schnell sieht er, dass ich mit den Geräten vertraut bin und lässt mich einfach machen. Da ich nach wie vor unsicher bin, welche Gewichte ich mir zumuten kann, gibt er mir sehr leichte Gewichte und erklärt mir, dass ich dann, wenn ich 6 Sätze à 15 Wiederholungen schaffe, das Gewicht erhöhen darf. Ausdauer vor Gewicht. Das gibt mir schon mal ein gutes Gefühl. Der Beinpresse stellt er eine Koordinationsübung auf einem Wackelbrett voran. Auch das ist mir aus der Physiotherapie vertraut – und es macht Spaß. Ich darf deutlich länger bleiben (Danke!!!!) und bekomme die Unterschrift, dass ich alleine abends und am Wochenende an die Geräte darf. Ich bin erleichtert!!

Um 15 Uhr steht Konditionierung im Wasser auf dem Programm. Weiß der Geier, was das ist. Ich ziehe mal vorsichtshalber den Badeanzug mit den stabilen und rutschfesten Trägern an. Die Dame, die den Kurs abhalten soll, ist verhindert; dafür kommt ein junger, knackiger Kerl, der sich mit Vornamen vorstellt. Da lässt man sich den Brustgurt der Schwimmweste gleich zweimal richten!

Es geht los mit Aqua-Jogging. Mein erster Eindruck: voll der Seniorensport. Nach 5 Minuten merke ich, wie meine Muskeln arbeiten. Die Gruppe ist mit 5 Leuten klein – und alle sind recht durchtrainiert. Der Trainer hüpft mit ins Wasser und korrigiert und erklärt. Nach 15 Minuten muss ich die erste Pause einlegen und nach 30 Minuten brennen die Muskeln an den Armen und am linken Oberschenkel. Weiter geht’s mit 15 Minuten Wassergymnastik. Ich fühle mich gut, befreit, das Wasser trägt mich und körperliche Einschränkungen spüre ich nicht. Spaß macht´s auch. Erst als ich aus dem Wasser draußen bin, merke ich, dass ich vor Erschöpfung kaum laufen kann. Gut! Dafür bin ich hier!

Natürlich gibt es hier auch Freizeitprogramm. Dafür gibt es sogar eigene Freizeittherapeuten. Bei mir auf dem Flur ist ein Bastelraum, in den man jederzeit gehen kann, um unter fachkundiger Anleitung Weidenkörbchen zu flechten oder Bilder zu malen oder Tiere zu filzen. Als Waldorflehrer meide ich derartiges eher zumal mir der Blick auf das dortige Publikum umgehend Fluchtgefühle vermittelt. Unten im Foyer sind regelmäßig und täglich wechselnd Ausstellungen organisiert, die aber nichts anderes sind als Verkaufsausstellungen. Heute ist dort eine Kosmetikverkäuferin mit ihrem Sortiment. Eigentlich ist das Publikum hier bunt gemischt, viele im Alter zischen 30 und 50, die ein offensichtlich aktives Leben geführt haben und jetzt an Unfallfolgen leiden. Klar gibt es auch einen Rentneranteil, aber der ist überraschend gering. Am Kosmetikstand trifft sich alles, was weiblich, um die 60, leicht füllig ist und praktische Kurzhaarfrisuren trägt. Ein unglaubliches Gekreische und Gejohle lässt mich schleunigst flüchten. Irgendwie erinnern mich die Art des Lärms und der Geräuschpegel an meinen beiden schwer pubertierenden Nichten. Beim Abendessen geht das Gekreische weiter – man bewundert gegenseitig die pinkfarbenen Lippenstifte. Ich verschwinde schnell und genieße in meinem Zimmer im Fernsehen das Finale von Germany´s Next Topmodel. Auch hier Gekreische, aber obendrein hübsch anzusehen. W-Lan gibt es immer noch nicht.

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